Vorträge

USA mit dem Rad
Vom Atlantik zum Pazifik
60 Tage, 1 Mann, 5.600 km
Fotos - Erzählungen - Gedanken

WannWoVeranstalterDetails
Dienstag, 28.3.2023, 17:00HTL St.Pölten, VortragssaalManfred MaierFür Bedienstete der HTL, PartnerInnen, Pensionisten, ...
Einladung
Freitag, 14.4.2023, 19:00Kirchberg an der Pielach, KirchberghalleKulturwerkstatt KirchbergEinladung

Das war die Radtour durch die USA 2022

Einleitung

Nach meinen bisherigen Radreisen in die westlichste, nördlichste und südlichste Gegend von Europa wäre die logische Fortsetzung eigentlich eine Reise nach Osten, soweit es eben geht - nämlich ziemlich weit.
All die Jahre, in denen ich mir durch viele Überstunden einen beruflichen Zeitausgleich erarbeitet habe, kreisen meine Gedanken stets um die Möglichkeit einer solchen Reise und um die Bedingungen, die ich dabei zu berücksichtigen habe.
Irkutsk am Baikalsee scheint mir als erste Etappe für den Sommer 2022 realistisch und viel Zeit und Energie fließen schon in eine konkrete Planung - aber dann kommt der Krieg Russlands gegen die Ukraine und meine Träume platzen sprichwörtlich wie Seifenblasen.
Monatelang hadernd, unwillig und unflexibel nach einer Alternative suchend entdecke ich am Ende meines Berichts über meine erste große Radreise nach Finisterre in Spanien die Passage "Ich könnte auch noch zurück fahren, oder mit dem Schiff über den Atlantik."
In Kombination mit dem Gedanken, nach Osten solange fortzusetzen, bis ich wieder daheim ankomme und damit, dass ich das Ganze ja auch in die umgekehrte Richtung fahren kann, beginne ich mich langsam für eine neue Idee zu faszinieren:
Nämlich meine erste Reise im Jahr 2013 nach Finisterre fortzusetzen, auf der anderen Seite des Atlantik, immer weiter nach Westen.
Sofort nach der Entscheidung entsteht eine Eigendynamik: Ich buche einen Flug nach New York am 7.Juli 2022. Die Rückreise haben meine Frau Sylvia und ich immer gemeinsam angetreten - also buchen wir für sie einen Flug nach Los Angeles - zwei Monate nach meinem Flug, ein Wohnmobil für die Rückreise nach New York und einen gemeinsamen Rückflug nach Wien.
Für die zwei Monate bis zum Date gibt es für mich und mein Rad viele mögliche Ziele und Routen, viele neue Träume und viele Ängste, vor allem die Angst davor, irgendwann mittendrin erkennen zu müssen, dass ich einfach zu alt für ein solches Unternehmen bin.
Aber ich fliege nach New York und fahre los, mit aller Bescheidenheit, jedoch im Bewusstsein, dass man einen Weg höchstens dann gehen kann, wenn man damit beginnt.


... Ein Reisebericht in Buchform ist in Arbeit ...

Meine Ausrüstung

Sollte jemand über eine mehr oder weniger große Radtour oder ähnliches nachdenken, dann ist die folgende Zusammenstellung vielleicht hilfreich:

Das Rad

Seit meiner ersten Radreise ist es mir ein Anliegen, relativ leicht und schnell zu sein, daher ist die Wahl schon immer auf ein Rennrad, in den letzten Jahren auf mein Gravel-Bike gefallen. Das Gravel-Bike ist (wie der Name schon sagt) durch die breiteren Reifen ein wenig geländetauglicher als ein Rennrad. Auch die Flexibilität und die Geometrie sind etwas besser für die Langstrecke geeignet. Wenn man die Hände einfach nach unten hängen lässt und dann den Unterarm hochhebt, dann wird man an der Handstellung merken, warum mir auch der Rennradlenker lieber ist, als der Lenker eines Mountain-Bikes etwa. Bei diesen Lenkern schlafen mir immer die Arme ein und das Genick schmerzt. Und ich greife tatsächlich ziemlich oft "unten" an, das ist vorteilhaft bei Wind und bringt eine Entlastung des Hintern. Und selbst wenn ich "oben" greife, dann drehe ich niemals meine Hände, sondern lasse sie immer in der für mich natürlicheren Haltung einfach am Brems- bzw. Schalthebel.
Den Vorteil der Scheiben- anstelle einer Felgenbremse kann man bei einem Achter (im Falle einer gerissenen Speiche :-( ) sofort nachvollziehen. Alu ist besser als Carbon, denn das lässt sich zur Not auch schweißen und Elektronik und Hydraulik sind im Falle eines Fehlers in einem fremden Land äußerst problematisch. Front- und Rücklicht sind mit kräftigen LEDs ausgestattet und über USB ladbar.

Das Cockpit, die Lenkertasche

Das Handy am Lenker ist wirklich eine Zentrale für die ganze Reise: Navigation; Aufzeichnung der Strecke; schnelles Suchen über Internet oder GoogleMaps; kurzfristige Reservierung (auch email ist eingerichtet) und griffbereite Reservierungsbestätigungen für das Einchecken, egal ob Hotel oder Campingplatz; Dictionary; Notizen fürs Tagebuch und das Rundherum; ToDo-Liste und letztlich der Wecker, ein Taschenrechner und Apps für die Bankverbindung.
Der Tacho zeigt mir am einfachsten, wie lange ich schon fahre (damit ich weiß, ob ich wirklich schon müde sein darf), wie schnell oder langsam ich bin, und informiert mich bei ausgeschaltetem Handy-Display (Energie sparen) über die Entfernung zur nächsten Abzweigung.
In der Lenkertasche befindet sich alles elektronische Zubehör für die Reise: Ohrhörer für die Anweisungen des Navi; Ladegerät und Kabel für alle Geräte; Zwischenstecker von USA auf EU; GoPro-Kamera, zugehöriges Ladegerät und USB-Schnittstelle zum Übertragen der Fotos; Akku mit einer Kapazität, mit der ich mindestens einmal den Laptop UND das Handy mehrmals laden kann; Pickzeug und Reserveschlauch; Adapter für die Tankstelle; Pumpe; Universalwerkzeug; Kugelschreiber; Brille; Brillenputztuch und schließlich die Regenhülle für die ganze Tasche.

Die Getränkeflaschen

Eine normale Rad-Trinkflasche (0.7 L), Mundstück aus Silikon, eine Vorratsflasche (1.5 L) in einer extra großen Halterung und die gleiche Flasche nochmal in der linken Radtasche.

Im Rucksack

Kopffach: Pass, alle Karten (Visa, Debit, Führerschein, SV, Kontaktdaten des bmeia Österreich, ÖAMTC, Allianz), Bargeld (nur selten notwendig), Radschloss.
In den beiden Hauptfächern: Reiseunterlagen (vom Flugzeug bis zum internationalen Führerschein), Sitzunterlage, kurze Hose, Legging, 2 Unterhosen (Eine sollte immer halbwegs rein sein), Leiberl (kurzarm und langarm), dünne Ärmlinge, Kapperl, ein paar Zurrgurten, Stirnlampe, Trinkbecher, leichtes Essbesteck, 2 Schaltücher, Tabs für die Anreicherung des Trinkwassers, ein paar Energie-Riegel, ein Apfel. Es bleibt noch Platz für "schnell mal irgendwas", sei es einfach ein Sackerl Erdnüsse oder eine Dose Bier.
Außentaschen: Windjacke und Etui für Sonnenbrille.
Die Regenhülle für den Rucksack ist integriert.

Am Mann

Natürlich Kleidung: Radschuhe, Socken, Radhose mit gutem Polster, Unterleiberl, Radtrikot, Helm, Handschuhe. Keine Unterhose.
Sonnenbrille (nicht zu dunkel, damit ich auch bei Schlechtwetter sehe) als Sonnenschutz, Windschutz, Regenschutz, Mückenschutz, und schließlich auch als mechanischer Schutz vor allem, was so daherfliegt.

Linke Packtasche

Schlafsack, aufblasbares Nackenhörnchen, Zelt, Regenhose, Regenschuhe, Regenjacke, Helmcover, Trinkwasser (1.5 L).

Rechte Packtasche

Kurze Überhose, warme Radhandschuhe, Sturmhaube, Haube, warme Ärmlinge und Beinlinge, 2. Unterleiberl, 2. Radtrikot, 2. Radhose, Mini-Apotheke (Tape, Pflaster, Schmerzmittel, Poposalbe), Sanitärbeutel (Rasierzeug, Zahnpflege, Duschgel, Sonnenöl, Lippenschutz, Nagelzwicker, Nagelfeile gegen Hornhaut), Klopapier, Taschentücher, Mini-Handtuch, Küche (2 kleine Kochtöpfe aus Titan, Campingkocher für Festbrennstoff, Festbrennstoff, Feuerzeug, Streichhölzer, kleiner Schwamm, Geschirrspülmittel, Oat-Meal), Laufschuhe und Socken (zu viele), Laptop (er ist für großräumige Planung, Organisation, Kommunikation und das Tagebuch unentbehrlich)

Beide Packtaschen sind wasserdicht (wenn man sie richtig zumacht :-))
Und ja, es gibt keinen Pyjama - im Schlafsack reichen Leiberl und Unterhose, im Hotel gehts ohne alles ganz gut.

oben auf dem Gepäcksträger

Regendichter Sack für wechselnden Proviant in Originalverpackung und in (neu gekaufter, länglicher, rechteckiger, flacher) Plastikbox.
Selbstaufblasende Unterlagsmatte.

Warum und Wozu - der Versuch einer Antwort, Wohin

Es ist klar, dass irgendwann irgendjemand, der mich virtuell auf dieser Reise begleitet, die Frage nach dem "Warum" stellt.
Und es ist soweit, die Frage wurde gestellt. Und ich gestehe, dass ich einige Zeit gebraucht habe, um auf diese Frage einzugehen beziehungsweise eingehen zu wollen und dabei vor allem auch für mich selbst wegzukommen vom unterbewussten "ich will es einfach" zu einem bewussten Beantworten der Frage. Die Antwort ist vermutlich noch keine endgültige und sollte auch die Frage "Warum gerade so" einbeziehen - ich werde dieses Kapitel immer wieder neu bearbeiten.

Vielleicht wiederhole ich mich, denn den Versuch einer Antwort habe ich ja schon im Zuge meiner vergangenen Radreisen gemacht, oft wahrscheinlich so wie auch dieses Mal nur "zwischen den Zeilen". Jedesmal aber ist eine neue Komponente dabei, sicher auch dieses Mal. Und eines ist sicher: Nämlich, dass es nicht DEN Grund gibt, sondern viele, vielleicht auch widersprüchliche. Und sicher kann ich auch nicht alles rational begründen.

Wesentlich ist wohl, so wie bei den vorangegangenen Touren, Zeit zum Denken zu haben. Dafür ist es wichtig, mit mir allein zu sein, sowohl körperlich als auch psychisch meinen Rhythmus zu haben. Die meisten Menschen, die Ausdauersport betreiben und dabei das Aufkommen von Gedanken nicht durch laute Musik über ihre Bluetooth-Headsets verhindern, die werden mir bestätigen, dass die Gedanken irgendwann frei zu laufen beginnen.

Ich brauche Zeit zum Denken, um mir auch selbst die Frage nach dem Warum zu beantworten, aber vor allem darüber, was ich von der Zukunft erwarte, welche Ansprüche im weitesten Sinne ich an sie habe - persönlich und in den Kreisen der Familie und der Freunde. Diese Fragen sind vor allem jetzt wieder wichtig, in einer Zeit, in der sich mein Leben durch den Wechsel in den Ruhestand sicher wesentlich verändern wird. Was kann und wird mir in dieser Zukunft wichtig sein.

Dazu kommt sicher, dass es "einfach geil ist", wenn ich es schaffe - gerade jetzt, einmal noch, solange es geht, um dann zufrieden alt werden zu können und auf diese Zufriedenheit aufbauend Ruhe zu finden, aber auch ausstrahlen und anbieten zu können, vor allem für meine Familie, die für mich - und das spüre ich in diesen Tagen des Abstands ganz besonders - von riesiger Bedeutung ist.
Ein blöder Spruch sagt ja immer, dass die "Liebe mit dem Quadrat der Entfernung voneinander wächst", vielleicht ist er nicht ganz so dumm, wenn man ihn verändert in: "Das Bewusstsein der Liebe wächst mit dem Quadrat der Entfernung."
Oder man könnte ihn vielleicht ein wenig verallgemeinern: "Manchmal ist Abstand notwendig, um schätzen zu lernen, was man hat!" Das bezieht sich nicht nur auf liebe Menschen. Manchmal ist es wichtig zu verreisen, um schätzen zu lernen, was man an der Heimat hat, insbesondere an Österreich. Wenn ich so manchem Zeitgenossen bei uns zuhöre, wenn er/sie in jammerndem, suderndem und nestbeschmutzendem Ton zu reden beginnt mit "Leider ist ja bei uns in Österreich ...", dann krieg ich schon einen dicken Hals und möchte endlich mal von diesen Suderern hören, wo es denn lebenswerter, sicherer und bequemer zu leben ist, als bei uns daheim. Und wenn ich mein Heimatland als eines der lebenswertesten einstufe, dann ist es mir wichtig festzustellen, dass ich damit nicht meine, dass wir auf die anderen in einer politisch rechten Überheblichkeit und "Mir san mir" - Mentalität herabschauen dürfen. Wenn wir Frieden auf der Welt wollen, dann müssen wir alle als gleichwertige Menschen betrachten und auf Augenhöhe behandeln.

"Ich will es wissen" ist sicher ein großer Teil der Antwort. Es handelt sich ja nicht nur um eine sportliche, sondern auch um eine Vielfalt an logistischen, sprachlichen und kulturellen Herausforderungen; oder aber einfach um die Herausforderung, mal mit wenig ansprechender Umgebung und wenig Komfort auszukommen. Allem will ich gewachsen sein. Eine Reise auf diese fundamentale Art liefert aber auch viele Begegnungen; Begegnungen mit grantigen und unsympathischen Menschen, vor allem aber mit Menschen, die mich grüßen, mir eine freundliche Geste zukommen lassen, die sich mir öffnen und mich dazu bewegen, das gleiche zu tun; Begegnungen mit Menschen, mit denen ich mich über Gemeinsamkeiten unterhalten und Lachen kann. Und dabei ist es in vielen Situationen nicht notwendig, die Sprache genau zu kennen - oft reicht die Mimik oder eine Geste, um einander zu verstehen und näher zu kommen.
Bei allem kann ich lernen, Erkenntnis gewinnen - und dieser Erkenntnisgewinn, dieses "mehr die Welt verstehen" war für mich immer ein wesentlicher Motor - früher vielleicht hauptsächlich in naturwissenschaftliche Richtung, je älter ich aber werde, desto vielfältiger wird dieses Bedürfnis. Auch wenn es oft anstrengend ist, sich immer wieder auf neue Situationen einstellen zu müssen, es hält fit und gibt (im Erfolgsfall) die Zuversicht, auch die nächste Herausforderung meistern und möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben führen zu können - körperlich aber auch geistig.

Natürlich könnten da auch ein paar nicht so noble Motive dabei sein:
Ich will vielleicht nicht nur mir selbst etwas beweisen, sondern auch meine Umgebung beeindrucken. Vielleicht will ich anderen zeigen, was ich kann, entgegen deren von mir vermuteten Erwartungshaltung an mich, vielleicht auch zur Aufarbeitung eines geringen Selbstwertgefühls in meiner Kindheit und Jugend, das durch meine damalige Umgebung erzeugt worden ist.
Vielleicht ist auch ein wenig Flucht dabei, etwa aus dem Stress des bisherigen Berufsalltags, denn als Lehrer steht man immer auf der Bühne. Oder Flucht vor den kleinen aber lästigen Entscheidungen des Alltags, Flucht aus der Verantwortung, die ich, so glaube ich auf vielfältige Weise in meinem Leben getragen habe - Flucht, um einfach mal nur mit meinem Ego zu sein.
Vielleicht will ich mir aber einfach ein Denkmal setzen, so wie Hermann Maier nach seinem spektakulären Sturz und darauffolgenden Sieg in Nagano(?) gemeint hat, dass er jetzt unsterblich ist. Wer sich an Hermann Maier gar nicht oder nur noch vage erinnert, der kann diese Unsterblichkeit vielleicht richtig einschätzen :-)
Sicher aber spielt das Bedürfnis eine Rolle, die auf mich zukommende neue Realität als Pensionist hinauszuschieben oder vielmehr einen Übergang dorthin zu verschaffen.

Über viele Zugewinne, nicht zuletzt aus der Erfahrung der vorangegangenen Touren, bin ich mir ganz sicher:
Ich lerne immer mehr, mich selbst richtig einzuschätzen, ich gewinne damit Ruhe und Ausgeglichenheit. Ich weiß, dass hektisches oder unüberlegtes Handeln zu Fehlern und Verletzungen führt - die Möglichkeit der Fortsetzung meiner Reise würde oft nur von einer kleinen Fehlentscheidung oder Fehlhandlung abhängen - ähnliches gilt oft auch für das "normale" Leben.
Ich weiß, dass es eine tolle Leistung ist, wenn ich es schaffe. Ich weiß, dass es für mein Alter schon gut ist, was ich bisher geschafft habe. Aber ich weiß auch und bekomme täglich vor Augen geführt, dass diese Tour, so wie vieles andere in unserem Leben nicht möglich wäre, ohne die von Generationen geschaffene Infrastruktur. Damit sind die Leistungen der Pioniere, die keine Wege zum Fahren und keine Supermärkte zur Versorgung vorgefunden haben, viel höher einzuschätzen, als das oft passiert - auf jeden Fall weit weg von der Lagerfeuerromantik, die wir damit oft einzig und allein verbinden und davon, dass wir diese Zeit verklärt als "die gute alte Zeit" einstufen.
In diesem Sinn relativiert eine solche Reise, sie macht bescheiden, aber nicht dahingehend, dass ich meine eigene Unzulänglichkeit spüre, sondern im Sinn der Bedeutung der menschlichen Gemeinschaft - wäre jeder nur für sich, dann wären wir hilflose Geschöpfe. Wir sind ein "zoon politikon", wie Platon und noch deutlicher Aristoteles sagten.

Ich kann meine Konsequenz verbessern, ich erfahre, dass ich nicht alles auf den "Sankt-Nimmerleins-Tag" verschieben kann, denn wenn ich ein Problem habe, dann muss ich es lösen, oder die ganze Aktion beenden. Selbst das wäre gar nicht so einfach. Ich lerne, das umzusetzen, was ich mir vorgenommen habe und vereinbar ist mit dem, was ich für mein Leben als wertvoll erkannt habe.
Ich erweitere meine Möglichkeiten, schiebe meine Grenzen immer ein wenig weiter hinaus, natürlich immer nur um ein kleines Stück und mit einer Aktivität, von der ich glauben kann, dass ich ihr gewachsen bin.
Ich lerne immer wieder, mit meinem Körper und mit meiner Psyche umzugehen, sie zu kurieren und ihre Grenzen zu kennen. Die Medizin ist ein Traum, wenn die Probleme die eigenen Lösungsmöglichkeiten übersteigen, aber kein Arzt und kein Therapeut kann mich so gut kennen, wie ich und darüber entscheiden, was am besten für mich ist.

Ich erkenne die Grenzen meines Könnens und Wollens, dass Träume letztlich in realistischen Zielen münden müssen. Konsequenterweise hat sich daher in den letzten Tagen, eigentlich in den mittlerweile Wochen seit Beginn auch für dieses Unternehmen ein realistisches Ziel entwickelt:
Die Option mit der längsten Strecke zu wählen und Anchorage in Alaska zu erreichen, ist in der mir zur Verfügung stehenden Zeit und mit dem, was für mich Bedeutung hat nicht ohne extremen körperlichen und psychischen Stress in die Realität umsetzbar. Das Risiko, es gerade nicht zu schaffen ist mir zu hoch. Mein ESTA läuft nach 90 Tagen aus und die Zeit für die Rückreise mit Sylvia ist mir zu wichtig, um sie in die Waagschale zu werfen. Ich will einen befriedigenden Abschluss dieser Tour und vielleicht des Kapitels "Lange Radreisen" in meinem Leben. Ich will den Pazifik erreichen und "begnüge" mich daher mit einem "across America" mit einem "from coast to coast, from east to west". Damit ist das Unternehmen noch immer keine "gmahte Wiesn", wie man durch Kartenstudium sehr schnell erkennen kann. Ich werde versuchen, Ocean City und danach Seattle zu erreichen, um von dort aus alles weitere zu organisieren (Rad heimschicken, ohne Rad nach L.A. reisen).
Ich werde wahrscheinlich immer wieder ausbrechen, gemeinsam mit Sylvia aber auch für mich alleine. Und ich werde mein Leben, solange es möglich ist, mit Sport gestalten, aber es muss aus heutiger Sicht keine Weltumrundung in Etappen sein. Denn daheim warten viel zu viele schöne Aufgaben, vor allem im Kreis meiner Familie, die mir Freude macht und auf die ich stolz bin.
Alaska und der Yukon sind vielleicht eine eigene Reise wert, gemeinsam mit Sylvia, eventuell mit einem "mobile home", so wie wir auch diese Reise hoffentlich zu einem glücklichen Ende bringen werden.

Und zu guter Letzt:
Ich weiß, dass man sich viele der dargestellten Gedanken auch erarbeiten kann, ohne mit dem Rad weg zu fahren - aber das ist eben der Weg, den ich dafür gewählt habe, der Weg, auf den mein Leben mich geführt hat.
Und abgesehen von all den besprochenen Zugewinnen, werde ich noch lange etwas von dieser Reise haben: Ich freue mich schon jetzt auf die Nachbearbeitung dieses Tagebuches, der dabei intensiveren Auseinandersetzung mit dem einen oder anderen Gedanken, auf das Überarbeiten der Texte, das Bearbeiten der Fotos und vielleicht auf den einen oder anderen Vortrag über dieses Unternehmen.

Und zu allerletzt: Diese eine Seite war die bisherige Reise schon wert - daheim hätte ich nie versucht, meine Gedanken zu ordnen, ins Bewusstsein zu rücken und letztlich für mich selbst in dieser Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

Wie ich das schaffen könnte

Die richtige Ausrüstung

Siehe oben, spare nicht am falschen Platz, nimm nur mit, was du brauchst - In Anlehnung an Rainhard Fendrich: Du brauchst nicht mehr, als du und dein Rad tragen können.

Die körperlichen Voraussetzungen

Oft wird mir die Frage gestellt, ob ich vor meiner Reise viel trainiert habe. Die Antwort lautet einfach: Nein - zumindest nicht extra für die Reise. Sport, insbesondere Ausdauersport gehört zu meinem Alltag. Wahrscheinlich fühle ich mich nicht zuletzt deswegen in diesem Alltag meist gesund und fit. Grundlage meiner Ausdauer ist der Laufsport. Ich kann auf einige Marathonläufe (das sind 42,195 km) zurückblicken, die Bestzeit dafür war 3 Stunden und 12 Minuten. Zum Laufsport haben sich Bergsteigen, Schitourengehen und eben der Radsport gesellt.

Mindestens gleich wichtig, wie die physischen Voraussetzungen sind aber die psychischen, vieles ist "Kopfsache". Alles wird leicher, wenn der Kopf frei ist von existentiellen Sorgen und Ängsten, wenn wir keine brennenden Sorgen um geliebte Menschen haben und wenn wir in einem harmonischen Umfeld leben. Jeder Psychologe wird vermutlich darin mit mir übereinstimmen, ja dazu noch viel mehr sagen können. Ich möchte im Folgenden einige weitere, vielleicht unmittelbarere (psychische) Voraussetzungen behandeln:

Ich muss mögen, was ich tu - jedes Stück des Weges, nicht (nur) das Ziel

Ich beginne mit einer Gegenfrage: "Wie schafft man es, ein langes Berufsleben zufriedenstellend über die Bühne zu bringen?" Sicher nicht, wenn man jeden Tag nur das Ende herbeisehnt und die Tage bis zur Pension zählt.

Genausowenig wird man eine größere Aufgabe meistern können, - sei es diese Tour, eine private oder berufliche Herausforderung - wenn man immer nur das Ziel vor Augen hat und sich davon frustrieren lässt, wie weit entfernt es doch noch ist. Erfolg verschafft eine Zerlegung in Teilprobleme, die Konzentration auf den einzelnen Tag, auf das einzelne Problem. Jeden Tag zu meistern und jedes einzelne Problem zu lösen ist Voraussetzung dafür, dass man das Ziel oder das Ende erreicht. Man hat damit plötzlich nicht nur ein Ziel, sondern täglich eines, manchmal mehrere pro Tag und daher sehr oft das Gefühl der Freude und Zufriedenheit über das Erreichte.
Die Festlegung der einzelnen Teilstücke mache ich am Anfang nur ganz grob - andernfalls hätte ich ja täglich Stress, da ich ja am grünen Tisch nicht voraussagen kann, was alles auf mich zukommt. Das einzige, was ich mir vornehme ist, jeden Tag in einem vernünftigen Ausmaß zu tun, was ich kann. Am Ende des Tages kontrolliere ich den Fortschritt und analysiere für mich, warum es gut oder weniger gut gelaufen ist.

Natürlich ist es notwendig, hin und wieder nach vorne zu schauen, festzustellen, ob man noch am richtigen Weg ist, keine Umwege fährt (oder nur notwendige Umwege) und ausreichend Ressourcen zur Verfügung hat. Das Gesamtziel und die ungefähre Route sollte weitgehend feststehen, notwendige und sinnvolle Korrekturen müssen aber möglich sein. Das Gesamtziel dient "lediglich" dazu, als faszinierender Abschluss dazustehen.

Sich auf das Teilproblem, auf den einzelnen Tag zu konzentrieren und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen setzt natürlich voraus, Gefallen daran zu haben, konkret am Radfahren und am Umgang mit allen Rahmenbedingungen - im Allgemeinen an den Aufgaben, die der Beruf oder das Leben stellen.

Jeder junge Mensch, der am Beginn seiner beruflichen Laufbahn steht, sollte das bedenken: Ein erfülltes Leben ist nur möglich, wenn der Weg Erfüllung verschaffen kann. Eine Berufslaufbahn einzuschlagen, eine Schulbildung zu wählen, die nicht dem eigenen Wunsch enspricht, führt langfristig zum Scheitern oder einfach nur zum Herbeisehnen der Pension. Ich habe es daher als Lehrer immer so gehalten, es meinen Schülerinnen und Schülern schon sehr früh, oft auch verbunden mit der Note "Nicht genügend" aber auf Augenhöhe zu sagen, wenn ich der Meinung war, dass der eingeschlagene Weg ein falscher ist. Dies nicht zu tun, oder eine positive Note zu schenken, wäre der Schülerin oder dem Schüler gegenüber extrem unverantwortlich.

Man muss ihn also mögen - den Weg, gar nicht so sehr das Ziel. So sehr mögen, dass man ihn auch will. Es geht im Konkreten nicht darum, den Pazifik zu erreichen, sondern Amerika mit dem Rad zu durchqueren. Die größte Rolle dabei spielt der Weg. Der Pazifik spielt dabei "nur" die Rolle des Ziels und sein Erreichen ist einer der vielen, wahrscheinlich einer der schönsten Schritte, aus denen der Weg besteht.
Man muss es mögen und wollen, beim Radfahren die Luft und die Sonne, manchmal auch den Regen zu spüren, die vielen optischen Eindrücke zu gewinnen, die sich immer wieder ändern, wenn du den Kopf bewegst. Man muss sie mögen, die Gerüche, die Geräusche, das Bewusstsein des Weiterkommens aus eigener Kraft und das Spüren dieser Kraft und der Energie dahinter. Man muss die Kontakte mit den hier wohnenden Menschen mögen, einfach so, oder weil man sie braucht.
Aber am Weg ist es demotivierend, dauernd nur nach vorne zu schauen. Wenn ich auf einer Straße fahre, über die mir das Navi sagt "folgen sie dem Verlauf für 105 Kilometer" und diese Straße geradlinig in den Horizont läuft, dann frustriere ich mich, wenn ich dauernd nach Veränderung suche - sie geschieht, aber ich merke es oft erst am Ende des Tages. Der Rennradlenker hilft hier ein wenig, da hat man den Blick (oft leider zu viel) in Richtung des Bodens :-).
Natürlich muss ich mich dann oft ablenken, durch Aufsagen der Bürgschaft, Festhalten von Notizen für das Tagebuch oder meiner Gedanken, Notizen zum Einkaufen und über organisatorische Notwendigkeiten. Oft teile ich mir den Tag nochmals in Teile um mich mit kleinen Erfolgen zu motivieren, etwa ein Blick auf den Kilometerstand, allerdings nicht dauernd, sondern nur etwa jede Stunde. Ich lasse mir vom Tacho nicht zuletzt deswegen meistens die Fahrzeit anzeigen, die verändert sich, solange sich die Räder drehen. Und damit weiß ich, dass sich auch meine Position ändert, wenn ich es auch an der Landschaft nicht merke.
Das einzige was zählt ist, am Abend weiter zu sein, als am Morgen. Dem trägt die Statistik im Tagebuch am Beginn jedes Tagesberichts Rechnung. Sie ist natürlich ein wesentlicher Motivationsfaktor.

Im Kapitel "Der Weg ist das Ziel" in "Der lange Weg zum Nordkap" habe ich mich schon mit der Bedeutung des Weges und des Ziels auseinandergesetzt. Vielleicht ist dort der eine oder ander zusätzliche Aspekt zu finden. Ganz wesentlich daraus erscheint mir: "Und ich kann mir nur ein einziges sinnvolles Gesamtziel für mein Leben vorstellen, nämlich erfüllt und zufrieden, ohne schlechtem Gewissen, ohne zu hadern, mit dem Gefühl, nichts versäumt zu haben und in Harmonie mit meinem Umfeld möglichst spät aus diesem zu scheiden."

Mit einer literarischen Erfassung des Themas in "Momo" von Michael Ende möchte ich meine Gedanken zu einem meiner Meinung nach abrundenden und ergänzenden Ende bringen.
Ich bedanke mich bei Herbert, für das offensichtlich ähnliche Empfinden, das Mitfühlen, das Entdecken der folgenden Textpassage und das Zusenden per Mail:

Der alte Straßenkehrer Beppo verrät seiner Freundin Momo sein Geheimnis. "Siehst du, Momo", sagte er dann zum Beispiel, "es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen. Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: "Und dann fängt man an, sich zu beeilen. Und man eilt sich immermehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen."
Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: "Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten." Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: "Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein." Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: "Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste."

Der Glaube versetzt Berge - wenn er zum Handeln führt


Der erste Teil der Überschrift wird oft mit Religion in Zusammenhang gebracht, von Religionen verwendet oder, provokativ formuliert, von ihnen missbraucht, um die Notwendigkeit eines Glaubens, an welchen Gott auch immer, und an die damit verbundene Religion zu argumentieren.
Meiner Meinung nach wird aber nicht der Glaube im religiösen Sinn die Berge versetzen, sondern der Glaube daran, dass ich das Ziel erreichen kann. Wenn der Glaube an einen Gott dafür hilfreich ist, dann ist es gut.
Ich glaube an das, was ich tue und daran, dass es wichtig ist und richtig, wenn auch vielleicht im Augenblick nur für mich. Ich glaube daran, auch wenn es viele Menschen gibt, die mein Tun aus Neid, Wichtigtuerei oder Unwissenheit als unsinnig oder nicht notwendig befinden. Die Anerkennung meines Tuns durch meine Umgebung schadet nicht - sie reicht aber keinesfalls. Wichtig ist, mein Handeln vor mir selbst anzuerkennen.
Dieser Glauben und diese Anerkennung sind Voraussetzung dafür, zuzupacken und zielgerichtet zu handeln. Fehlt diese Voraussetzung, dann sollte ich es einfach bleiben lassen, denn das kleinste Problem würde zum Scheitern führen.

Es wird aber auch nicht reichen, zu mögen, zu wollen und zu glauben.
Johann Wolfgang Göthe sagt in Wilhelm Meisters Wanderjahre: "... es ist nicht genug zu wollen. Man muss es auch tun."
Und es mag schon etwas Wahres dran sein an dem gerne verwendeten Spruch "Nenne dich nicht arm, wenn du deine Träume nicht verwirklichen konntest, wirklich arm ist nur, wer nie geträumt hat".
Aber ich möchte beide Zitate ergänzen:
Es ist nicht genug, davon zu reden und zu träumen. Tu es, tu es jetzt, worauf wartest du. Gib dir einen Tritt in den Hintern und zeige dir, dass du es wirklich kannst, denn: Es ist besser, einen Traum zu leben, als vom Leben nur zu träumen.
Warte nicht darauf, dass alle Voraussetzungen optimal sind - das gibt es im Leben nicht. Es gibt immer einen Grund, etwas nicht zu tun, aber es gibt tausend Gründe, (trotzdem) etwas zu tun!

Und auch dann, wenn man an einen Gott glaubt, wird es zu nichts führen, sich zurückzulehnen und zu warten, dass irgendetwas durch ihn geschieht. Wir sind gefordert, den Lauf der Dinge zu bestimmen, es wird nicht der liebe Gott für uns richten und uns unserer Verantwortung entbinden, wenn wir nur intensiv genug zu ihm beten.
Für eine Radtour auf den Punkt gebracht:
Es nützt nichts zu beten,
wenn du nicht bereit bist,
zu treten!"

Oft kommt es auf die Perspektive an

Wir kennen sie alle, die Sache mit dem halb gefüllten Glas:

Ich glaube, dass es besser ist, das halb volle Glas zu sehen, als sich darüber zu ärgern, dass es schon halb leer ist. Das ändert nichts an der Situation, dass es irgendwann leer ist. Das ist klar und man hat darauf zu achten. Aber es wäre dumm, "vor der vollen Schüssel zu verhungern".
Ich glaube, dass es besser ist, eine schnelle Abfahrt mit dem Rad zu genießen, als sich damit fertig zu machen, dass es danach wieder bergauf geht.

Darüber hinaus kann die aktuelle Perspektive ein Bild der Realität erzeugen, die uns diese falsch einschätzen lässt. Alle, die schon über längere Strecken auf dem Rad gesessen sind, kennen dieses Wellengelände, man schaut nach vor und die Straße sieht so aus:

Die Unzufriedenheit mit den folgenden Anstiegen lässt die Freude über die bevorstehenden Abfahrten verschwinden.
Danach ist man oft klüger: Man kann den Steigungswinkel aus der frontalen Sicht oft schwer einschätzen. Könnte man das Gelände von der Seite aus betrachten, dann würde man erkennen, dass es in Wirklichkeit so beschaffen ist:

Es handelt sich bei beiden Bildern um die gleiche Sinus-Kurve - Maxima hab ich am Laptop :-). Das zweite Bild ist gegenüber dem ersten einfach gedreht.

Meiner Erfahrung nach lässt sich dieser Gedanke auf viele Problemstellungen in Beruf und Alltag umlegen:
Beurteile die Herausforderung einer Aufgabe nicht aus der Emotion des ersten Blicks darauf. Schau genauer, ändere deinen Standpunkt, sei flexibel, vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, wie du im ersten Augenblick denkst.
Pessimistisches Hadern und die Suche nach negativen Aspekten bringen dich nicht weiter. Damit wird nur deine Psyche und letztlich deinen Körper krank. Das heißt nicht, die rosarote Brille aufzusetzen und mögliche Probleme zu ignorieren. Es gibt keine Garantie im Leben, aber höchstens eine optimistische Denkweise kann dich zum Erfolg bringen.
Wenn du in dieser optimistischen Denkweise den Menschen um dich vertraust, ihnen dieses Vetrauen signalisierst, ihnen den Stress nimmst, den sie vielleicht mit der Begegnung mit dir haben, dann wird der Umgang mit ihnen einfacher sein. Alle kennen den Spruch: Ein (ehrlich gemeintes) Lächeln ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen.

Es macht nicht immer nur Freude - Grenzen, Probleme, Fehler

Ich wiederhole ein paar Sätze aus dem Tagebuch:
Rad und Körper sind die Grundlage für diese Reise. Ich habe darauf zu achten. Fordern ist gut, überfordern ist schlecht. das rechtzeitige Erkennen des Unterschieds ist wichtig, Mann und Material müssen einsetzbar bleiben.
Die einen halten es nach dem flotten Grundsatz "Was mich nicht umbringt, das macht mich nur stärker". Die anderen richten sich nach dem Spruch "Was mich nicht gleich umbringt, das bringt mich langsam um". Wenn man auf den Körper hört und den Kopf einschaltet, dann wird man sich irgendwo dazwischen bewegen müssen, um erfolgreich zu sein.
"Nur die Harten kommen durch" ist ein Leitsatz, der passt, wenn er zur Motivation dient, als Aufforderung dafür, nicht zimperlich zu sein und beim kleinsten Problem nachzugeben. Es darf auch schon mal weh tun und an die Grenzen gehen, aber hart um jeden Preis, deutlich über die Grenzen bis zum knock out, das bringt niemanden weiter. Dazu gehört natürlich die leidvolle Erfahrung, wo die Grenzen eigentlich sind und ähnlich leidvolles Training, sie immer ein bisschen zu verschieben - beides habe ich in meinem Alter aber schon hinter mir.
Jeder Mann und jede Frau, der oder die mit der Führung von Menschen betraut ist, sei es bei einer ernsten Expedition oder bei einer einfachen Schitour, in einem Unternehmen, als Lehrperson in einer Klasse oder auch als Offizier bei einem Heer - er oder sie wird gut daran tun, die Mannschaft, die Geführten, die Mitarbeiter oder die Schülerinnen zwar zu fordern, aber nicht zu überfordern, sodass Mensch und Material einsetzbar bleiben. Der Gesetzgeber in Österreich hat (daher) sogar eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer erlassen.
Bei einem Einzelunternehmen sind halt Leiter und Mannschaft identisch, dass Prinzip muss aber analog gelten. Das Motto "Mit dem Kopf durch die Wand" hat noch keinen ans Ziel gebracht.

Ganz sicher sind wir nicht immer nur optimistisch und mit Elan bei der Sache. Eine schlechte Nachricht, schlechtes Essen, das Wetter oder was auch immer: die Motivation ist weg, nichts macht Freude. Körper und Kopf können müde sein. Außerdem ist da sicher das eine oder andere Detail an der Gesamtaufgabe, das man einfach nicht mag.
Dann darf es natürlich auch einmal langsamer gehen. Rasten und Auftanken sind keine egoistischen Unanständigkeiten, sondern Notwendigkeiten. Auch dann, wenn man anderen Hilfe anbieten möchte, dann braucht man Energie und ein positives Selbstwertgefühl. Fehlt eines davon, dann kann man nicht helfen, sondern wird sehr schnell zum Hilfsbedürftigen. Zu einem positven Selbstwertgefühl gehört auch ein gewisses Maß an Selbstachtung und eine Begegnung mit dem "Ich" auf Augenhöhe. Daher reicht es auch nicht, zu essen und zu trinken - ich gehe zum Friseur, rasiere mich, achte darauf dass ich nicht stinke und wasche meine Kleidung - gar nicht so wehr wegen der anderen, sondern in Anlehnung an den ohne diesen Zusammenhang präpotenten Werbespruch "Weil ich es mir wert bin".
Es ist eine lebenslange Aufgabe, meinen Kopf und meinen Körper kennenzulernen und sie zu achten - als Quelle der Energie, die ich für mich und meine Umgebung aufbringen möchte. Ich versuche das auch dann zu tun, wenn grad nichts weh tut - das ist oft schwer, wir kennen das alle.

Um über freudlose Situationen hinwegzukommen ist aber auch unsere Konsequenz gefragt, eine gesunde Portion Dickschädel oder mit anderen Worten die Taktik "Augen zu und durch".
Man kann unangenehmen Herausforderungen auch mit dem guten alten Pflichtbewusstsein begegnen, bei allem negativem Beigeschmack, den dieser Begriff mit sich bringt. Man ist seiner Umgebung und sich selbst gegenüber verpflichtet, das fertig zu machen, was man begonnen hat - meine Umgebung will sich auf mich verlassen können und ich will zufrieden abschließen. Es macht stärker, wenn man es trotz aller Widrigkeiten schafft.
Und wenn es trotz positiver Herangehensweise und Einstellung mal nicht so läuft, wie es sollte, wenn Fehler passieren, dann ist "einmal kurz fluchen" ein gutes Ventil, um die ersten Emotionen los zu werden. Probleme löst man damit aber genausowenig, wie mit Schuldzuweisungen nach außen, Jammern, Selbstmitleid und anderen Emotionen.
Tom Hanks hat als Anwalt James Donavan in "Bridge of Spies" einen sowjetischen Spion vertreten und sich darüber gewundert, dass dieser nicht unruhig darüber ist, was ihn jetzt erwartet. Die lapidare Reaktion des Klienten Rudolf Abel hat sich mir als Grundsatz eingeprägt: "Würde das helfen?"
Die Frage sollte man sich auch dann stellen, wenn man bereit ist, sich als Märtyrer für eine Sache zu opfern - weil es in mittelalterlicher Denkweise sehr heldenhaft ist, das ist ein bisserl zu wenig.
Der Blick muss auch in unangenehmen Situationen nach vorne gerichtet sein, ich muss auf eine Lösung der entstandenen Probleme fokussieren. Die Analyse eines Fehler ist sinnvoll, wenn man ihn dadurch noch rückgängig machen kann oder wenn man daraus für die Zukunft lernen kann. Dadurch können auch negative Erfahrungen sehr wertvolle Erfahrungen werden. Auch die Analyse des eigenen Körpers und der eigenen Gedanken zählt dazu.
Von wesentlicher Bedeutung bei der Fehleranalyse ist aber in jedem Fall:
Ziehe adäquate Konsequenzen und verzeihe dem Verursacher. Wenn du das am Liebsten nicht tun würdest, dann stell dir die Frage: "Würde das helfen?". Gleiches gilt, wenn du selbst der Verursacher bist, dann verzeihe dir nicht nur den Fehler, sondern auch die Tatsache, dass du nicht perfekt bist, niemand ist das - auch wenn manche den Eindruck erwecken, als würden sie das von sich glauben. Das ist oft nur Selbstschutz vor der Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit. Wir alle machen Fehler in unserem Leben. Wichtig ist, dass wir alles nach bestem Wissen und Gewissen machen und bereit sind, zu lernen.

Mit Konzept und Disziplin - und das bis zum Schluss

Ich glaube, dass wir es alle kennen, wenn das Ende absehbar ist, eigentlich "nichts mehr passieren kann" oder "alles gelaufen ist" wie einige Redewendungen dieses Gefühl auf den Punkt bringen: Vorfreude kommt auf, berechtigter Stolz, Zufriedenheit und Selbstsicherheit. Das ist alles gut - es darf nur nicht dazu führen, eingebildet oder unkonzentriert und schlampig zu werden. Das eine macht unsympathisch, alles andere fehleranfällig.
Fehler, Pannen, Unfälle oder gesundheitliche Probleme können auch noch auf den letzten Metern passieren und damit das ganze Unternehmen zum Scheitern bringen. Man hat ein Ziel einfach erst dann erreicht, wenn man die Ziellinie überquert.
Bis dahin ist das notwendige Maß an Disziplin aufzubringen. Bis dahin erfordert jedes Teilstück die gleiche Aufmerksamkeit. Und jedes Teilstück verdient auch die gleiche Aufmerksamkeit, denn die Qualität des Gesamtproduktes und die Zufriedenheit damit hängen von jedem einzelnen Teil ab. Man hinterlässt die Straße nur dann sauber, wenn jeder Besenstrich mit der gleichen Gewissenhaftigkeit ausgeführt wird, um mich nochmals des "Straßenfegers Peppo" zu bedienen.
Man kann diese Gedanken auch auf andere Projekte umlegen. Dabei ist aber Disziplin nicht zu verwechseln mit "Kadavergehorsam" oder mit einem stumpfsinnigen, sinnentleerten Anwenden von Regeln, die "schon immer so waren" und "weil sich das halt so gehört". Gemeint ist damit eine konsequente Arbeitshaltung, die geeignet ist, das Ziel zu erreichen.
Auch "Seine Pflicht zu tun" ist ein zielführender Motor. Man muss auch hier vom (historischen) Beigeschmack absehen, denn im positiven Sinn bedeutet das einfach, dass man im Beruf oder privat Versprechungen gemacht oder Vereinbarungen getroffen hat, und dass zu Recht erwartet werden darf, dass man sich diesen verpflichtet fühlt - manchmal ist man auch sich selbst verpflichtet.
Abgesehen davon, dass ich mich beim Fahren hoffentlich bis zum letzten Meter auf den Verkehr und auf den Untergrund konzentriere, habe ich eine Struktur für die Rahmenbedingungen. Jedes größere Projekt braucht eine Struktur. Diese zu geben, bedeutet nicht nur eine Zerlegung des Gesamtprojekts in Teile, sondern muss auch Kriterien und Handlungsanweisungen berücksichtigen, die für den Erfolg maßgebend sind. Es schadet auch nicht, diese Kriterien und Anweisungen niederzuschreiben und ihre Einhaltung zu kontrollieren.
Firmen bezeichnen die Zusammenfassung dieser Punkte, so glaube ich, als Qualitätskonzept. Konkret ist mein Konzept im GoogleKalender niedergeschrieben. Dadurch werden die Aufgaben täglich abgearbeitet und nach Erledigung und Anpassung auf den nächsten Tag oder die nächste Woche zur neuerlichen Umsetzung verlegt. FBI und CIA wissen zwar auch darüber Bescheid - das ist mir aber egal.
Unter dem Eintrag "Tagesziele" finden sich hier die Städtenamen der weiter entfernten Ziele, um beim Navigieren die prinzipielle Richtung zu haben und die konkreten Adressen und Entfernungen der (möglichen) Ziele für den nächsten oder auch übernächsten Tag.
Mit einem weiteren Eintrag erfasse ich täglich die noch offene Strecke, die verbleibenden Fahr- und Rasttage, um den Überblick darüber zu bewahren, wie ich in der Zeit liege. Dieser Teil war bei den Touren in Europa nicht notwendig, wo eine Berücksichtigung von Aufenthaltsbeschränkungen und Flugterminen entfallen konnte.
Der Eintrag "Tagebuch" dient zur laufenden Erfassung der Gedanken und Notizen während des Tages über das Handy im "Cockpit" als Grundlage für das Tagebuch.
Die "Einkaufsliste" beinhaltet alles, was ich brauche oder brauchen könnte und ist Grundlage für den täglichen Einkauf. Der Eintrag "Konten checken" erinnert mich daran, dass ich wieder mal mit "George" reden sollte um nicht den Überblick zu verlieren und dass die Konten, auf die ich zugreife auch immer ausreichend gedeckt sind. Der "Waschtag" und "Friseur" erklären sich von selbst. Auch zum täglichen "Dehnen" zwinge ich mich durch den Kalender. Zähneputzen geht auch ohne ...
Daneben finden sich auch die Flugtermine für Sylvia und für mich, der Termin zum Abholen des Wohnmobils und - last but not least - ein paar private Erinnerungen insbesondere der erste Schultag, nämlich aus zwei Gründen:
Erstens, weil es der erste Schultag meiner ältesten Enkelin ist und ich im Geiste dabei sein will.
Zweitens, weil ich es bewusst genießen möchte, dass ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten als Lehrer nicht dabei sein muss :-)

Das Gesamtkonzept der Reise umfasst aber noch mehr:
Für die täglich notwendigen Informationen über Versorgung und Übernachtung, für Kommunikation, laufende Planung und Organisation aber auch für die Navigation stütze ich mich (neben dem, was ich vor Ort vorfinde) auf meine elektronischen Geräte und das Internet. Dadurch erspare ich mir viel Gewicht durch Reiseunterlagen aus Papier, bin flexibler und habe tagesaktuelle Informationen. Selbstverständlich bewirkt das umgekehrt, dass ich sehr intensiv auf meine Geräte und ihre Versorgung mit Energie zu achten habe - der Erfolg der Reise hängt von ihrer Funktion ab.
Die Art der Straßen und damit die mögliche Reisegeschwindigkeit habe ich durch die Wahl meines Fahrrades festgelegt: Im Wesentlichen Asphalt - zu große Abweichungen davon können zu Verzögerungen führen ...
Bleiben noch die beiden zusammenhängenden Themen "Übernachtung und Versorgung":
Der Plan am grünen Tisch war, so wie in Europa viel mehr "in den Tag hinein" zu fahren und zu schauen, was ich finde oder einfach irgendwo mein Zelt aufzuschlagen - so wie in Finnland. Die großen Distanzen zwischen den Versorgungsmöglichkeiten haben mir aber sehr schnell klar gemacht, dass eine genauere Tagesplanung erforderlich ist. Das "wilde Campieren" ist von einem Bundesstaat zum nächsten gesetzlich anders geregelt und eben wegen der Versorgungs- aber auch wegen der Bärenproblematik in vielen Gebieten nicht attraktiv. Campingplätze im europäischen Stil mit einer guten Infrastruktur sind zumindest auf meinem Weg sehr selten. Das Zelt ist also weniger im Einsatz, als ursprünglich geplant - vielleicht trägt auch mein Alter ein wenig dazu bei :-)

In groben Umrissen, vor allem was die Packordnung angeht, ist dieses Konzept schon am Anfang gestanden. Es ist aber jeden Tag auf dieser Tour gewachsen, und es wird noch immer laufend angepasst, wenn die Erfordernisse es notwendig machen oder eine Änderung erfolgversprechender ist als die Beibehaltung - so wie das auch in Beruf und Alltag sein sollte.
Über einen grundsätzlichen Wechsel eines Konzepts kann man diskutieren, etwa am Beginn eines neuen Projekts mit vielleicht anderen Aufgabenstellungen - nicht einfach um des Wechselns willen, oder um nicht unflexibel oder altmodisch zu wirken. Anpassen oder Wechsel eines Konzepts kann von außen betrachtet sehr schnell mit Konzeptlosigkeit verwechselt werden und damit Anlass dazu geben, gleich ohne Konzept an eine Sache heranzugehen. Damit wäre ich sicher noch nicht dort, wo ich bin.
Der Wechsel eines funktionierenden Konzepts oder auch nur seine schlampige Anwendung auf den letzten Metern kann zum Scheitern führen oder gefährlich im wahrsten Sinne des Wortes sein - damit schließt sich auch der Kreis zu den ersten Sätzen dieses Kapitels: Ich glaube, dass wir es alle kennen, wenn das Ende absehbar ist, ...

Auch Glück gehört dazu

... und damit meine ich nicht nur das Glück mit dem Wetter oder bei jeder einzelnen menschlichen Begegnung, nicht nur das Glück, keinen Bären zu treffen und durch keine anderen Verkehrsteilnehmer zu Schaden zu kommen.
Es ist ein Glück, dass ich in eine Zeit, in ein Land, in eine politische Situation und in eine Gesellschaft hineingeboren worden bin, die mir dieses Abenteuer ermöglicht. Es ist ein Glück, körperlich und geistig gesund geboren zu sein, um einerseits dieses Abenteuer in Angriff nehmen zu können und anderseits einen Beruf ausüben zu dürfen, der es mir ermöglicht hat, die finanziellen Ressourcen dafür zu schaffen. Man muss sich für dieses Glück nicht schämen oder ein schlechtes Gewissen deswegen haben - aber wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, dann wird man zur Einsicht gelangen und zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Voraussetzungen für den Lebensweg nicht für alle Menschen gleich sind. Diese Einsicht sollte dazu führen, unsere Erfolge zu relativieren, am Boden zu bleiben und dankbar zu sein, auch wenn es natürlich legitim ist, auf Erfolge stolz zu sein und sich an ihnen zu erfreuen. Man kann diese Dankbarkeit auch sinnvoll zum Ausdruck bringen, nämlich dadurch, diese Erkenntnis zu transportieren und einen wie immer gearteten Beitrag zum Glück anderer zu leisten.