USA mit dem Rad, Wiederholung
Vom Atlantik zum Pazifik
60 Tage, 1 Mann, 5.600 km
Fotos - Erzählungen - Gedanken
Wann | Wo | Veranstalter | Details |
Freitag, 23.2.2024, 19:00 | Kirchberg an der Pielach, Kirchberghalle | Kulturwerkstatt Kirchberg | Einladung |
Bestellmöglichkeit durch Klick aufs Buch oder:
Taschenbuch bei Bestellung bei mir per mail: Euro 42,-- (Adresse angeben!)
Nach drei Büchern über meine Radreisen in Europa nach Westen, Norden und Süden möchte ich auch über ihre "logische Fortsetzung"
in der gleichen Form erzählen und meine Leser wieder mitnehmen, von der Großstadt New York durch die wunderschönen aber
fordernden Appalachen, das flache Land in der Mitte der USA, durch die unendlichen Weiten Montanas und den Wald der
Rocky Mountains bis zum pazifischen Ozean und nach Seattle.
Die Emotionen und Gedanken auf dieser Reise werden genauso thematisiert, wie die Motive und die Strategie, die mich mein Ziel
erreichen haben lassen.
Ich möchte meine Leserinnen und Leser bewegen, etwas anzupacken und aufzubrechen, auch wenn manche Wege oft schwierig und
aussichtslos scheinen. Wir alle haben Emotionen und Ängste bei neuen Herausforderungen -- Nur wenn wir sie annehmen, können wir
Zuversicht gewinnen und daran wachsen.
Nach den Radtouren in Europa und der Tour durch die USA im Vorjahr ist ein ähnliches Unternehmen lange Zeit kein Thema gewesen.
Die letzten Monate aber beginnen meine Gedanken immer mehr um eine Fortsetzung zu kreisen. Der Gedanke an den Norden, an das
faszinierende Alaska, das schon im Vorjahr Beweggrund war, wird in den letzten Monaten immer präsenter.
Zehn Jahre nach der Reise nach Spanien stehe ich also im Juni 2023 wieder bei meinem Berater im Reisebüro und buche:
Einen Flug nach Seattle mit Fahrrad, eine Nacht in dem Quartier, bei dem die Vorjahresreise geendet hat und einen Rückflug von
Fairbanks in Alaska nach Wien.
Nach einigen Unklarheiten über die Bedingungen für die Fahrradmitnahme, der Aktivierung meiner t-mobile-USA-Karte aus dem
Vorjahr (mit Hilfe einer rumänischen Website, da die österreichische Kreditkarte nicht direkt verwendet werden kann) ist
die Organisation rasch erledigt. Die Packliste ist praktisch unverändert zum Vorjahr, das Rad erhält ein umfassendes Service
(unter anderem ist ein neues Hinterrad notwendig, da die Felge eingerissen ist), auf die Gabel kommen zwei Flaschenhalterungen
und die Elektronik wird etwas ergänzt und modernisiert. Mit einem Sportgeschäft in Fairbanks beginnt eine e-mail-Kommunikation
über die Verpackung für den Rückflug und auch der erste Fahrtag ist schon im Wesentlichen geplant.
Obwohl ich also das Gefühl habe, nicht nur organisatorisch, sondern auch körperlich und mental besser vorbereitet zu sein, als
im Vorjahr, sind die letzten Tage von einer eigenartigen Mischung aus Nervosität und Spannung geprägt. Ein Geräusch im Vorderrad
am letzten Abend vor dem Packen trägt das seine dazu bei.
Im Wesentlichen aber spüre ich wieder Sehnsucht nach der Ferne und Vorfreude auf die Erlebnisse und die landschaftlichen
Eindrücke.
Die Spannung in den letzten Tagen beruht auch darauf, dass die "Austrians" je nach Sachbearbeiter unterschiedliche Informationen
an meinen Betreuer im Reisebüro darüber gegeben haben, was in den Radkarton alles hinein darf: Von "nichts, außer dem Rad" bis zu
"alles, was sonst im Reisegepäck ist" ist die Spannweite da gegangen. Ich verlasse mich auf die letzte Variante und habe damit
neben dem Risiko, dass sie mich nicht mitnehmen, den Vorteil, dass ich Platz spare und mich (neben meinem Handgepäcksrucksack)
nur um ein Gepäckstück zu kümmern habe.
Außerdem kenne ich jetzt das Gewicht meiner Ausrüstung: Der Karton wiegt 26 Kilogramm, davon sind 3 Kilogramm für den Karton
abzuziehen und das Gewicht des Rucksacks zu addieren. Ich bin also (inklusive Rad) mit etws mehr als 30 Kilogramm unterwegs
(Trinkwasser und etwas Verpflegung schon einkalkuliert)
Sylvia bringt mich zum Flughafen und ist für mich solange ruhender Pol, bis mein "Sondergepäck" bezahlt und angenommen ist.
Danach fällt zum ersten Mal seit Tagen der Stresspegel und ich passiere entspannt den Security-Check, die Passkontrollen und
das Boarding-Prozedere. Die Verabschiedung meiner Frau fällt mir so schwer, wie bisher noch nie.
Der Flug nach Chicago dauert fast 10 Stunden, insgesamt beträgt die heutige Reisezeit von Kirchberg weg etwa 22 Stunden ...
Der Check durch die Einwanderungsbehörde, dem ich mich schon in Chicago zu unterziehe habe, geht sehr rasch über die Bühne.
Ich habe danach auch mein Fahrrad entgegenzunehmen, es durch den Zoll zu bringen und wieder für den nächsten Flug einzuchecken.
Mit einem Zug geht es zum nächsten Terminal, wo wieder ein Security-chck zu passieren ist. Das ganze Procedere kostet so
viel Zeit, dass ich "just in time" im nächsten Flieger sitze. Beruhigend ist, dass ich dort sehe, wie mein Rad eingeladen wird.
In Seattle geht alles rasch: Ich warte nur kurz auf mein Rad, borge mir um 8 Dollar ein Transport-Wagerl aus und fahr damit (nach
Rückversicherung mit einer sehr hilfsbereiten Security-Dame) bis zum Motel. Schnell bring ich noch das Wagerl zurück, besorge
Bargeld, Wasser und einen Happen zu essen, checke im Motel ein und baue das Rad soweit zusammen, bis ich sehe, dass alles
funktioniert. Dann übermannt mich nach einem 26-Stunden-Tag die Müdigkeit. Gute Nacht!
Strecke T01: 99 km, 716 hm
Gesamte Strecke: 99 km, 716 hm
Maximale Höhe über Meer heute: 168 m
Offen nach Fairbanks: 3400 km, xxx hm
In den Morgenstunden plagen mich Kopfschmerzen - Lüften hilft und bewirkt noch 1 Stunde guten Schlaf bis 6:30. Die erste Arbeit
sind der restliche Zusammenbau des Fahrrads, das Aufpumpen mit der Handpumpe und Nachbessern mit einer CO2-Patrone. Dann geht
es entsprechend der mitgebrachten Ausrüstungsliste ans fachgerechte Bepacken. Kurz kommt noch einmal ein sehr unangenehmes
Gefühl, das der Erinnerung an die schweren ersten Tage der vorjährigen Tour geschuldet ist, bei einem guten Frühstück im Bistro
des Nachbarhotels stellt sich aber allmählich Ruhe ein.
Schnell buche ich noch ein Quartier für heute (daheim schon ausgesucht), mach ein paar Einstellungen auf Laptop und Handys.
Ja, dieses Mal habe ich zwei mit, das zweite als Reserve und zum Fotografieren (zusätzlich zur GoPro). Ich erkenne, dass ein
Teil meiner schlechten Stimmung auch vom langen Flug kommt, der Jetlag hat mich doch ein wenig erwischt, aber langsam passen
sich Körper und Kopf an. Auch der Frühstückskaffee trägt dazu bei.
Kurz vor 10 Uhr klicken wieder die Pedale, es herrscht Traumwetter und mein Fokus liegt darauf, die ersten Tage ohne Druck
einfach einzufahren und zu trainieren.
Die Straße führt östlich von Seattle an der Stadt vorbei, mit gutem Asphalt durch eine gepflegte Gegend. Viele Ampeln und
Kreuzungen und daraus resultierenden häufigen Starts und Stopps kosten Energie. Meistens gibt es eine Bikelane für mich oder
zumindest die "right lane" wie im Vorjahr. Die sind allerdings auch heuer oft mit Glassplittern und ähnlich scharfkantigen
Kleinzeugs überseht und erfordern daher Konzentration meinen Reifen zuliebe.
Das Rad läuft schön, die neuen Reifen fahren sich angenehm. Die nennenswert vielen Höhenmeter spüre ich am Abend, obwohl sie
über sehr sanfte Steigungen zurückgelegt werden - aber sie sind eben zurückzulegen :-)
Insgesamt verläuft die Fahrt aber so angenehm, dass ich sie nur durch kurze Stopps zum Nachfüllen der Flaschen und "für kleine
Jungs" unterbreche.
Nach praktisch 100 Kilometern bin ich schon um 15 Uhr am Ziel, kaufe an der Tankstelle daneben Wasser für morgen und Essen für
heute und mach mich dann noch zu Fuß auf zur Pharmacia im Walmart, um eine Poposalbe zu besorgen (eigentlich als vorbeugende
Maßnahme).
Strecke T02: 123 km, 308 hm, 5:09 Stunden
Gesamte Strecke: 222 km, 1024 hm
Maximale Höhe über Meer heute: 109 m
Offen nach Fairbanks: 3281 km, xxx hm
Die Nacht war unruhig: leichte Schmerzen im rechten Knie, die mir im Alltag kein Kopfzerbrechen machen, Probleme mit der
Verdauung und letztlich ein Popo, der noch ok ist, aber Erinnerungen an die ersten Tage des Vorjahres bewirkt.
Verschiedenste Szenarien gehen mir durch den Kopf, ich glaube auch noch deutlich den Jetlag zu spüren (es sind immerhin 9 Stunden
Differenz zur Heimat - da muss sich der ganze Körper umstellen, die Nacht wird fast zum Tag und umgekehrt)
Der Morgen gewinnt durch ein für amerikanische Verhältnisse tolles Frühstück: ich wähle Fleisch und Eier!
Nach dem Einkauf von etwas Tagesverpflegung starte ich um 07:40 Uhr bei bestem Radfahrwetter, das den ganzen Tag hält.
Es beginnt mit einer Steigung, die ich gestern beim Runterfahren toll fand, zunächst etwas hektisch, dann aber reduziert sich
die Straße bald auf zweispurig, ist verkehrsarm und führt durch eine ruhige Waldlandschaft
Nach etwa 80 Kilometern gibts ein Lunch aus "chicken stripes" und Kaffee im Stehen vor und in einem kleinen Store in Acme für
nur 7 Dollar. Nach dem Essen im Flugzeug und dem Fastfood der ersten Tage gibts also nochmals Fleisch - ich hab es schon
dringend nötig für die Muskulatur.
Danach bin ich so entspannt, dass mir ein pädagogisch wertvolles Rechenbeispiel einfällt - die USA messen die Temperatur nach
wie vor in Fahrenheit, das Beispiel ist vielleicht was für meine noch unterrichtenden Kolleginnen und Kollegen:
0 F(ahrenheit) sind -17,78 C(elsius), 100 F sind 37,78 C (die Körpertemperatur des Assistenten von Fahrenheit). Beides sind
lineare Skalen. Erstelle für die Umrechnung eine Funktionsgleichung C(F) und begründe darauf aufbauend, dass ein Umrechnen
mittels "Schlussrechnung" nicht funktioniert (Es war mir immer ein Anliegen, zu erklären, dass die Welt im Gegensatz zur
landläufigen Meinung nur sehr selten mit Schlussrechnungen erfassbar ist)
Die restliche Strecke verläuft im Wesentlichen flach, nur fallweise kommt Gegenwind auf.
An der Grenze nach Kanada geht alles sehr rasch: Ich brauche, zwar ein paar Minuten, bis ich weiß, wo ich als Radfahrer
hingehöre, die Beamten sind aber freundlich und helfen mir. Ein paar Fragen über meine Ankunft, Herkunft, Aufenthalt und
Rückflug sind schnell beantwortet, meine Antworten stoßen natürlich auch auf Interesse.
Beim gebuchten Quartier habe ich schnell eingecheckt, mache mich an das übliche Procedere und besorge mir nach ein wenig
Fragen und Schauen im "Walmart" eine "prepaid SIM-Karte" für Kanada mit einer guten Internetverbindung (LTE) für 30 Tage.
Außerdem erfrage ich einen "ATM" (wie in den USA), an dem ich Bargeld beheben kann (200 kanadische Dollars).
Das Wasser vom Wasserhahn kann man im Gegensatz zu den USA trinken!
Der morgige Tag ist in groben Zügen geplant, ein mögliches Quartier kann ich nur telefonisch reservieren, das verschiebe ich
auf morgen.
Strecke T03: 99 km, 311 hm, 4:01 Stunden
Gesamte Strecke: 321 km, 1385 hm
Maximale Höhe über Meer heute: 99 m
Offen nach Fairbanks: 3190 km, xxx hm
Nachtrag zu gestern: Ich habe nicht gewusst, dass man beim Kauf einer Sim-Card auch die maximale Geschwindigkeit für die
Daten festlegen muss. Mein Wunsch nach LTE kostet mich 10 CAD mehr pro Monat.
Ich werde heute vor dem Wecker wach, und da das Frühstückslokal erst um 7:00 öffnet, reserviere ich auch noch ein Motel in Hope.
Ich wäre zwar lieber weiter gefahren, kann aber nichts in zumutbarer Entfernung finden und ich bleibe auch damit im Plansoll. Außerdem
möchte ich nicht den mir nur allzu bekannten Anfängerfehler machen, nämlich am Beginn einen großen Vorsprung zu erfahren.
Und schließlich hat auf meinen auf Band gesprochenen Anruf bei einem Motel im weiter entfernten Yale den ganzen Tag
niemand reagiert - damit betrachte ich die getroffene Entscheidung zumindest rückwirkend als gut.
Es ist einfach beruhigend, zu wissen, wo ich am Abend schlafe und die Verwendung des Zelts im Irgendwo möchte ich noch etwas
hinausschieben, ich werde einfach nicht jünger.
Ein weiterer Beitrag zur Entspannung ist neben dem gesicherten Quartier die immer schöner werdende Landschaft, durch die ich
mich heute bewege. Oft geht es durch schattigen Wald, über weite Strecken an einem Fluß entlang mit immer wieder tollen
Ausblicken auch in die Bergwelt.
Ein paar Worte wechsle ich mit einem Radfahrer, den ich überhole(!). Er rät mir für Alaska zu einem Bärenspray. Auf einer
Rest-Area nach 80 Kilometern pausiere ich und esse ein wenig von meinem Proviant, bevor es mit gutem Wind an die letzten 20
Kilometer geht.
Nach meinen ersten Beobachtungen ist der Asphalt hier besser, als in den USA. Und die "right lane" ist oft tatsächlich als
Radstreifen gekennzeichnet, außerdem ist sie zumindest heute sehr sauber - ohne Gefahr für die Reifen. Die Preise sind auch ein
wenig "kundenfreundlicher" und zu meiner Freude werden Entfernungsangaben in Kilometern und nicht in Meilen gemacht.
Schon kurz nach 13:00 bin ich am Tagesziel. Bei einem Bummel durch den Ort Hope versorge ich mich mit Nahrung für morgen und
mit einem Mikrowellengericht für den heutigen Abend. Eine Mikrowelle findet man in vielen Motels.
Schwierig gestaltet sich die Suche nach einem Quartier für morgen. Einer der Gründe dürfte sein, dass Lytton schwer von einem
Waldbrand getroffen wurde, wie ich in einem Outdoor-Shop erfahre. Dort bekomme ich endlich auch Trockenbrennstoff (zumindest für
meine Haferflocken) und komme mit dem Verkäufer überein, dass ich mir einen Bärenspray noch nicht jetzt besorgen muss. Außerdem
hilft mir der Verkäufer bei meiner Quartiersuche: Er macht zwar erfolglos ein paar Anrufe, gibt mir aber ein paar Tipps mit, die
ich am Abend noch selbst verfolge - zumindest habe ich einige mögliche Destinationen per mail angeschrieben. Meine telefonischen
Versuche bleiben ungehört.
Sollte keine Antwort kommen, dann riskiere ich vielleicht eine "Fahrt ins Blaue", oder ich dreh einfach um nach Seattle.
Spätestens bei der Abfahrt muss ich mich für eine Richtung entscheiden ...
Die Wettervorschau stimmt zuversichtlich, die Höhenmeter Richtung Norden eher skeptisch für eine lange Fahrt mit ungewissem Ziel.
Ich wünsche mir eine gute Nacht und allen in der Heimat einen erfüllten Tag.
Strecke T04: 98 km, 258 hm, 4:05 Stunden
Gesamte Strecke: 419 km, 1643 hm
Maximale Höhe über Meer heute: 101 m (Messdifferenz zu gestern)
Offen nach SeaTac: 210 km, xxx hm
Nach einem langen Abend mit Hadern werde ich um 2 Uhr morgens mit nervösem Bauch wach und treffe die Entscheidung, aufzugeben.
Der Kopf macht nicht mit. Die Gründe für diese schwere Entscheidung sind nicht einfach beschreibbar, im Wesentlichen fordert
der Bauch Vernunft ein und diese Vernunft besiegt das Wunschdenken, den Ehrgeiz und den Stolz:
Trotz intensiver Suche nach einem Quartier und einiger (leider unbeantworteter) Anfragen ist für die kommende Nacht alles
unklar. Meine Suche beschränkt sich nie nur auf den nächsten Tag und dadurch gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass das
Problem nach Norden zu, im sehr dünn besiedelten Gebiet, immer größer wird.
Ein schlechtes Internet, sowohl über das WLAN als auch über das Mobilnetz, haben die gestrige Suche zusätzlich erschwert. Auch das
könnte im Norden noch häufiger der Fall sein. Und außerdem "spinnt" immer eins meiner elektronischen Geräte oder es hängen sich
wichtige Apps auf. Planung und Navigation werden damit erschwert bis unmöglich, ohne meine funktionierenden Geräte fühle ich
mich verloren. Und mitten im Yukon oder in Alaska bekomme ich sicher nichts neues.
Auch die Preise für die Quartiere steigen täglich, wenn man dem Wunschdatum näher kommt.
Mir wird klar, dass es "weiter oben" keine Öffis gibt, mit denen ich im Notfall weiterkomme, und auf die Hilfe anderer möchte
ich nicht setzen.
Ich spüre deutliche Sehnsucht nach meiner Familie und nach Sicherheit und Geborgenheit. Die Reise ins Ungewisse
war mir vor 10 Jahren egal, im Vorjahr ging es noch gut, jetzt entsteht dadurch ein unerträgliches Gefühl in mir.
Vielleicht sollte ich doch einmal einen Blick auf meine Geburtsurkunde werfen.
Jedes einzelne der geschilderten und wahrscheinlich einiger weiterer, unbewusster Probleme ist für sich kein Grund zum Abbrechen,
die Summe macht aber (vor allem nachts) einfach Angst. Diese ist dann für einige Augenblicke sogar so groß, dass ich sogar
daran zweifle, die Rückfahrt auf bekannter Strecke über bekannte Quartiere schaffen oder eine starke Steigung bewältigen zu
können.
Natürlich waren mir alle Probleme auch vorher schon bekannt, aber am grünen Tisch der Planung sind sie nicht so
groß, wie dann, wenn man bei der Umsetzung mitten drinnen steht. Eine traurige Assoziation dazu aufgrund der politischen Lage
in Europa ist die, dass eine Kriegserklärung und die Planung der Offiziere am grünen Tisch prinzipiell auch einfach sind.
Vielleicht wird auch dabei die Situation etwas leichtfertig beurteilt, weil der Bauch nicht die Vernunft einfordert. Das Leid
trifft diejenigen am meisten, die mit der Umsetzung, insbesondere am Schlachtfeld zu tun haben.
Vielleicht werde ich mit meiner Entscheidung jetzt belächelt, aber das halte ich nicht zuletzt im Bewusstsein meiner bisherigen
Touren aus. Ich habe es wenigstens versucht und auch das Scheitern ist eine wertvolle Erfahrung.
In diesem Sinne schreibe ich auch im Tagebuch weiter, es wäre feige, die Entscheidung zur Umkehr zu verschweigen, ich schäme
mich nicht dafür, sondern bin sogar ein wenig stolz darauf, dass die Vernunft gesiegt hat.
Natürlich hadere ich damit, vor allem deswegen, weil ich spüre, dass der Körper sich wieder langsam an
alles gewöhnt hätte, aber auch deswegen, weil ich nun die großartige Landschaft im Norden nicht sehen werde. Und als mir
heute zwei Radreisende begegnet sind, hätte ich am liebsten geheult vor Wehmut.
Noch in der Nacht kontaktiere ich daher per Mail meinen Berater im Reisebüro, um die Tatsache zu nutzen, dass es daheim ja
schon Tag ist. Ich bitte ihn, meinen Rückflug umzubuchen - meine neue Richtung lautet: Zurück nach Seatac/Seattle, weil ich
dort neben dem Motel in Flughafennähe auch noch den Radshop vom Vorjahr in Erinnerung habe, wo sie sicher auch heuer wieder
einen Karton für mein Rad haben, um es "flugtauglich" zu machen.
Natürlich teile ich meinen Entschluss sofort auch meiner Familie mit.
Außerdem buche ich das Motel von gestern für die nächste Nacht. Ich freue mich trotzdem auf das Radfahren in den nächsten Tagen.
Nach einem Frühstück aus dem Proviant mit Kaffee vom Zimmer starte ich kurz vor 8 wieder bei optimalem Wetter, körperlich fit,
aber etwas unmotiviert. Trotzdem verspreche ich mir, die Konzentration beim Fahren aufrecht zu erhalten, denn ich will ja
schließlich daheim ankommen. Die Sache mit der Ziellinie habe ich ja im Vorjahr deutlich gemacht.
In 1:50 Stunden ist die erste Hälfte erledigt. Über weite Strecken kommt danach Wind auf, und schlechter Asphalt ist unter den
Rädern (die Gegenfahrbahn war gestern deutlich besser). Der Wind wird erfahrungsgemäß am Nachmittag stärker - ich freue mich
also über meine Entscheidung zu einem den Umständen entsprechenden frühen Start.
Nach ein paar Mails, die ich mit dem Reisebüro und meiner Frau austausche, habe ich sehr bald die neuen Flugtickets mit Fahrrad
in meinen Emails. Ich bedanke mich für das rasche Handeln und die erfahrene Unterstützung, bei meiner Frau und dem
Reisebüro. Ich habe in diesen Stunden gelernt, um Hilfe zu bitten und mir helfen zu lassen.
Leider ist ein Rückflug finanziell erst am 10. August vernünftig, ich habe daher die Zeit bis dahin so zu überbrücken, dass
ich nicht "im Kreis gehe":
Sofort nach der Ankunft im Quartier buche ich daher alle Quartiere bis zum 10. August. Da ich genug Zeit habe, teile ich die
Rückfahrt nicht auf 3, sondern auf 4 Tage auf. Die Wettervorschau lässt das zu. Das letzte Quartier ist wieder das erste,
ich weiß, dass ich in dieser Umgebung bekomme, was ich brauche, und dass die mich mit meinem Rad zum Flughafen bringen.
Das nimmt Stress weg. Für die Planung dieser Dinge benötige ich ein paar Stunden.
Schließlich bringe ich meine Radkleidung noch zur Münzwäscherei des Motels und geh dann in eine nahegelege Bar, höre dort
Musik, schreibe diese Zeilen und trinke 2 entspannende Bier.
Trotz allem gibt's wieder ein paar Fotos:
Strecke T05: 78 km, 135 hm, 3:22 Stunden
Gesamte Strecke: 497 km, 1778 hm
Maximale Höhe über Meer heute: 119 m
Offen nach SeaTac: 137 km, wurscht hm
In der "Nacht der Entscheidung" habe ich kaum geschlafen. Erstens konnte ich nicht, und zweitens habe ich begonnen, die Rückreise
zu organisieren - das ist leichter, wenn es daheim Tag ist. Zum Ausgleich erwache ich heute nach bestem Schlaf vollkommen
entspannt.
Im benachbarten Restaurant gibt's das gleiche Frühstück wie vorgestern und kurz nach 8 Uhr klicken die Pedale, das fühlt sich
nach wie vor gut an. Nach nur 4 Kilometern bin ich an der Grenze, finde selbst heraus, wo ich als Fußgänger (so wird ein
Radfahrer an den Grenzen gesehen) hin muss und treffe auf einen sehr freundlichen Officer, der wieder seine Pflichtfragen
darüber stellt, was ich hier in den USA will. Ich erzähle ihm in zwei Sätzen von meiner vorjährigen Tour und meinem heurigen
Scheitern, und er beschließt dann das Gespräch mit einem "next year". Damit bin ich wieder in den USA.
Ich fahre heute sehr gemütlich, hadere natürlich wieder ein wenig mit meiner Entscheidung, weil mir das Radfahren so
"leicht von der Hand" geht, denke ein paar Mal an den "Rückgängig-Rückgängig-Button" in Word, fühle mich aber umgekehrt
als Sieger, weil ich in der Lage war, mir den selbst auferlegten Druck zu nehmen. Ich habe tatsächlich den Eindruck, viel
für meine Zukunft gelernt zu haben. Das Verkehrsaufkommen ist gering, meine Gedanken können daher den ganzen Tag laufen,
das tut gut.
Das Fahren gegen die Sonne nach Süden ist etwas anstrengend für die Augen, etwas Gegenwind und die wenigen Steigungen kann
ich gelassen hinnehmen. Eine Bar lockt zu einer Pause, sie ist amerikanisch angelegt, aber von einem Thailänder geführt. Der
plaudert ein wenig mit mir, gibt mir "Litschis" (oder wie immer die heißen) aus seiner Heimat zum Kosten und lädt mich auf
den Kaffee ein, den ich trinke.
Beim reservierten Motel können sie mich nicht sofort einchecken, weil ihr System grad nicht funktioniert. Nach bangen Minuten,
ob sie denn überhaupt einen Platz für mich haben, geben sie mir aber schon mal die key-card und kündigen an, mich anzurufen,
wenn sie fertig sind für den Checkin und ich kann entspannen, planen, einkaufen und mich ein wenig umsehen.
Und am Abend, in einem mexikanischen Lokal, versuche ich, die Gedanken des Tages zu Papier zu bringen und damit an gestern
anzuknüpfen:
Vermutlich ist da bei den Abbruchgründen noch der leicht angeschlagene Zustand des Hinterteils zu erwähnen, aber auch die
Sache mit den Bären, auf die ich vom gestrigen Radfahrer aufmerksam gemacht wurde: "I saw many bears, as I have been in Alaska,
on the road, even dead ones!" Aber wie schon geschrieben: Ein einzelner Grund führt nicht zu einer solchen Entscheidung, es ist die
Summe aller Gründe, vor allem ist es eine Sache des "Bauchs". Der Verstand ist dann oft "nur" dazu da, die Bauchentscheidung
auf eine rationale, für andere nachvollziehbare Ebene zu heben - oder sollte man besser sagen: zu senken?
Im Laufe des Tages habe ich einige Nachrichten erhalten, die Verständnis für meine Entscheidung ausdrücken. Von Herbert war
da die Bemerkung dabei, dass sie deswegen gut ist, weil es "keine alten Helden gibt" (die sterben nämlich alle jung).
Es würde mich freuen, wenn man mich umgekehrt eines Tages in aller Bescheidenheit zu den "weisen Alten" zählen würde. Ich
arbeite daran.
Keine Ruhe lässt mir meine Assoziation mit dem "grünen Tisch der Planung und dem Schlachtfeld der Umsetzung".
Am grünen Tisch der Planung weiß man die Probleme zwar, aber man spürt sie nicht. Diesem Manko unterliegen wahrscheinlich auch
die Politiker und Generäle, die am grünen Tisch einen Krieg erklären und planen. Auch sie spüren es nicht. Sie sind einfach
nur in ihren abstrusen Vorstellungen stark.
Wir brauchen diese starken Männer mit ihre einfachen, selbstgestrickten Weltbildern nicht, die ihre zweifelhaften, persönlichen
Ideale auf dem Rücken anderer zur Umsetzung bringen wollen! Das gilt einerseits für die Weltpolitik, es gibt aber anderseits
auch immer mehr österreichische Politikerinnen und Politiker, leider auch in Spitzenpositionen, in oppositionellen und
regierenden Parteien, die, einfach im Geiste mit ihren aggressiven Worten signalisieren, dass sie bereit sind, Stärke zu
beweisen - um die nächste Wahl zu gewinnen, um damit ihre eigenen Komplexe aufzuarbeiten oder deswegen, weil
Macht einfach geil ist. Und diese Liebe zur Macht beschränkt sich nicht auf die Regierenden. Auch die Rattenfänger in den
Oppositionsparteien erfreuen sich an ihrer Macht, nämlich an der, viele Menschen in ihren Bann ziehen zu können, einfach
dadurch, dass ihre einfachen Vorstellungen, die sie wortgewaltig präsentieren leicht verstanden werden. Aber die Welt ist nicht
so einfach, wie wir sie gerne hätten.
Liebe Wählerinnen und Wähler, zeigt, dass euch die "alten Weisen" lieber sind, als die "ach so Starken".
Es wird dann mehr Frieden geben auf dieser Welt.
Liebe Frauen, signalisiert diesen starken Männern, die dauernd beweisen müssen, dass sie "den längeren haben"
oder wissen, dass sie ihn nicht haben, aber gerne hätten und das mit starken Worten kompensieren, dass ihr nicht auf sie
steht. Das sind die gleichen Typen, die euch schlagen, wenn ihr nicht ihren einfachen Vorstellungen entsprecht.
Es wird dann mehr Frieden geben auf dieser Welt.
Es ist eine komplizierte, vielfältige, weite und schöne Welt. Vergessen wir darauf nicht bei der Analyse der Komplexität
oder bei unserem von wem auch immer geschürten Bedürfnis, diese Vielfalt auf die beiden menschgemachten Kategorien
"Gut und Böse" aufteilen zu wollen.
Strecke T06: 71 km, 297 hm, 3:11 Stunden
Gesamte Strecke: 568 km, 1875 hm
Maximale Höhe über Meer heute: 110 m
Offen zu meinem "Lieblingshotel": 66 km, wurscht hm
Zur Klarstellung: Hier gibt es auch schon Öffis, mit denen ich fahren könnte, aber es geht um noch ein wenig Sport und um
ein wenig Beschäftigungstherapie :-)
Frühstück gibt's heute bei Starbucks, ich nehm ein Krügerl Kaffee, das ist eine übliche Menge hier und sowieso mein morgendliches
Pensum. In diesem Lokal schmeckt er natürlich ausgezeichnet, ein kleiner Rest ausgenommen - den lass ich halt einfach stehen,
denn ich hab ja jetzt gelernt, aufzuhören, wenn es genug ist ;-)
Start ist heute um 8:10 Uhr, ich entscheide mich für die küstennahe Variante, sehe aber den ganzen Tag über kaum das Meer.
Das "God bless you", das die Rezeptionistin bei meiner Abfahrt ausspricht und das ich in ähnlicher Form auf meinen Reisen
schon oft gehört habe, das tut gut. Auch wenn man nicht an einen Gott glaubt, so drückt es den Wunsch aus, dass den Mitmenschen
Gutes widerfahren soll - und dieser positiven Haltung den anderen gegenüber begegne ich öfter, als einer negativen.
Dem Samstag entsprechend ist relativ wenig Verkehr, der Himmel ist bedeckt, hält aber den ganzen Tag dicht. Der Asphalt ist
passabel bis sehr gut. Und die Strecke verläuft zumindest am Anfang in flachem Gelände. Es wird zwar bald hügelig, aber
mein Trainingszustand wird auch besser, schade drum ...
Ein Großteil der Strecke verläuft durchs "Waldviertel", am Ende muss ich durch hässliches Industriegebiet. Die Absperrung,
die kurz vor meinem Tagesziel meine Route sperrt, die ignoriere ich in gewohnter Manier.
Ich habe heute gar nicht pausiert, daher bin ich um 11:30, also viel zu früh beim Quartier, denn der Checkin ist erst ab
14 Uhr möglich. Ich muss also eine Mittagspause im gegenüberliegenden Steakhouse machen. Es gibt rootbeer, ceasar salad und
viel Kaffee. Mein Rad darf ich mit hinein nehmen.
Im Quartier gehts als erstes unter die Dusche, dann reserviere ich mir telefonisch den Dienstag zum Einpacken des Rads für
den Flug in dem Radshop, in dem sie das auch im Vorjahr erledigt haben. Schließlich informiere ich mich noch ein wenig über
das Sightseeing in Seattle, denn ich muss ja mindestens einen Tag sinnvoll füllen.
Der Rest des Tages vergeht mit dem Festhalten von Gedanken, die (noch) nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind, ein Teil
davon entsteht bei Musik, Bier und einigen Knabbereien im Steakhouse.
Strecke T07: 67 km, 440 hm, 3:21 Stunden
Gesamte Strecke: 635 km, 2315 hm
Maximale Höhe über Meer heute: 177 m
Ich muss nur noch das Rad zum Einpacken bringen
Frühstück gibts im wieder im steakhouse, ich trödle und fahr erst um 08:40 Uhr ab. Der Himmel ist bedeckt und es geht
gleich mal bergauf. Die Fahrt ist trotzdem einfach, weil sich dem Sonntag entsprechend der Verkehr in Grenzen hält.
Bald ist Seattle in Sicht.
Die Durchfahrt durch diese Stadt ist beeindruckend und ich habe genug Ruhe, dabei auch ein paar Fotos zu schießen. Für
eine Besichtigung nehme ich mir in den nächsten Tagen Zeit.
Die Fahrt ist ereignislos und kurz, die Landschaft und das Stadtbild bieten über weite Strecken nichts neues. Dementsprechend
kurz ist auch der heutige Text. Im Rodeway Inn werde ich vom Rezeptionisten wiedererkannt, und freundlich begüßt.
Er verlangt diesmal nur die halbe Kaution :-) und ich bin ein paar Minuten nach meiner Ankunft im Zimmer.
Geplant für 4 Nächte, um auf meinen Flug zu warten.
Natürlich denke ich darüber nach, dass ich jetzt schon ein schönes Stück im Norden wäre, wäre ich weitergefahren.
Die Probleme, die zum Abbruch geführt haben sind (erwartungsgemäß) jetzt aus der Entfernung betrachtet wieder ein wenig
geschrumpft. In der Nacht der Entscheidung - und das ist wesentlich - war eine Weiterfahrt einfach unmöglich. Ein wenig habe
ich halt noch zu arbeiten daran ...
Ich habe heute auch mal probiert ein Video reinzustellen, es ist von der Einfahrt nach Seattle:
Als erstes wasche ich heute ein paar Kleidungsstücke im Waschbecken, denn viel habe ich wirklich nicht mit. Das ist zwar etwas
notdürftig, aber besser, als nix. Und die nächste Wäscherei ist mir für die paar Sachen zu weit weg.
Frühstück gibt's bei dem vom Vorjahr bekannten Dennys, und dann fahre ich mit der Bahn für 3 Dollar ins Zentrum von Seattle.
SeaTac ist für Seattle etwa das, was Schwechat für Wien ist. Die Entfernung ist auch etwa gleich groß.
Schon der Kauf eines Tickets und die Fahrt in eine fremde Stadt hinterlassen immer einen besonderen Eindruck. Insbesondere
ist heute der 2. Teil der Fahrt mit der Monorail etwas besonderes: Man steigt im 3. Stock ein, der Zug hat nur eine Schiene
und die führt in einer Höhe von 10 bis 15 Metern über der Straße durch die Stadt.
Mein erstes Ziel ist die "Space needle", eines der Wahrzeichen von Seattle, das von der Weltausstellung 1962 hier in Seatte
stammt.
Ich bummle noch ein wenig durch die umliegende Touristengegend, entdecke dabei die für alle Andenkenläden
offensichtlich verpflichtende Schneekugel, kauf mir einen Kaffee, schaue, flaniere, hadere wieder ein
wenig und beschließe dann, ein Stück des Weges zurück zu Fuß zu erledigen, um etwas mehr Gefühl für die Stadt zu bekommen.
Dieser Weg führt vorbei an der Statue des Indianerhäuptlings Seattle, dem zu Ehren die Stadt ihren Namen trägt. Es fehlt nicht
an den für eine amerikanische Großstadt typischen Wolkenkratzern und Baustellen für neue Objekte, ich kann aber auch viele
Obdachlose sehen. Eine besondere Attraktion sind die "Spheres", kugelförmige Stahl-Glas-Bauten mit einer vielfältigen
Pflanzenwelt, die (soweit ich das verstanden habe) von Amazon gebaut wurden und eines ihrer Headquarters sind.
Zurück nach SeaTac geht's wieder mit der Bahn.
Ein wenig fad ist das Sightseeing alleine schon, aber immerhin besser, als im (hässlichen) Motel zu sitzen und zu
warten, bis mir die Decke auf den Kopf fällt.
Im Quartier schreibe ich ein Stück dieser Zeilen und arbeite ein wenig an der Packordnung für den Rückflug, denn morgen kommt
alles, was ich nicht mehr brauche in den Karton zum Rad. Zum Abendessen gehe ich in das Bistro beim Nachbarhotel.
Guten Morgen in die Heimat, ich freue mich auf dich.
Ich habe lange und gut geschlafen und hole mir wieder ein Frühstück bei Denny's. Ein paar Handgriffe erledige ich noch an der
Packordnung und dann mache ich mich auf den Weg zum Radshop "to box up my bike for shipping it home". Dort vereinbare ich
die Fertigstellung bis morgen, 10:00. Durch die Angabe meiner Telefonnummer findet der (die?) Angestellte mich sogar in der
Kartei - ich habe noch die amerikanische Nummer vom Vorjahr.
Bei der Rückfahrt will ich in der Buslinie F zahlen, vermutlich aber weil er schon eine Verspätung hat, sagt der Fahrer einfach
"find a seat!". Eine Station muss ich noch mit der "Link Light Rail", dann gibt's eine kleine Pause im Motel.
Wie gestern geht es nochmal in die Stadt, nochmals besuche ich die "spheres", darf aber nicht hinein - Einlass ist nur für
Amazon-Mitarbeiter, Besuchsmöglichkeit besteht an zwei Samstagen im Monat. Daneben aber liegt ein Original aus Seattle, ein
Starbucks-Cafe. Es gibt gekühlten Kaffee und Bananenkuchen. Spätestens dort fällt mir auf, dass hier sehr viele Inder und
Inderinnen zu sehen sind, die sind gut beim Programmieren, man braucht sie daher hier, wo sich wichtige Niederlassungen von
Amazon, Microsoft und Apple finden.
Hauptziel ist heute das MOHAI, das "Musum Of History And Industry", um einen Eindruck davon zu bekommen, was man hier unter
Geschichte versteht - ich bin schnell durch. Was allerdings auffällt, ist, dass Innovation ein wesentliches Thema für die
Stadt zu sein scheint.
Zu Fuß mache ich mich nochmals auf den Weg zur space needle, um noch ein paar Eindrücke vom Stadtbild mitzunehmen, dann
fahre ich auf bekannten Wegen wieder "heim" und hole mir wie schon fast üblich im Bistro nebenan ein Dinner. Ich glaube, die
Chefin kennt mich jetzt schon. Sie war auch schon im Vorjahr da.
Mit einem Glas Whisky "Canadian Club" hoffe ich, den "failure in Canada" der Aufarbeitung ein Stück näher zu bringen. Natürlich
kommen die Gedanken daran auch heute wieder hoch: In der Mittagspause schaue ich mir nochmal den Weg nach Fairbanks auf GoogleMaps
an, bin tagsüber mal "himmelhoch jauchzend" wegen meiner befreienden Entscheidung, dann aber auch wieder "zu Tode betrübt", weil
ich viele Eindrücke, jetzt nicht haben werde. Es tut aber gut zu wissen, dass ich die Entscheidung selbst getroffen
habe und sie mir nicht die Umstände aufgezwungen haben. Irgendwann in meinem Leben hat sie ja sowieso fallen müssen.
Mir fällt auch "Forrest Gump" ein, der 170 Tage und 16 Stunden gelaufen ist, und dann einfach aufgehört hat. Und natürlich
vergleiche ich: Wenn ich alle meine langen Touren zusammenrechne, dann komme ich auf 119 bis 130 Tage, je nachdem, ob ich
auch die Rasttage dazuzähle. Für ein paar kleinere mehrtägige Touren könnte ich nochmals etwa 20 Tage in die Waagschale werfen,
also insgesamt eh ganz schön viel, vielleicht wirklich schon Zeit zum Aufhören, wie der Forrest.
Je mehr ich in mich hineinfühle und mir meine Abbruchgründe klar mache, umso bewusster wird mir, auf welche Leistungen ich
zurückblicken kann. Bei solchen Touren, so sage ich immer, ist ein Drittel der Belastung das Radfahren, gescheitert
bin ich an den restlichen zwei Dritteln.
Und Rainer hat mich noch auf die Idee gebracht, ein passendes Gedicht von Hermann Hesse zu lesen ("Stufen", war schnell gegoogelt),
es ist vielleicht für uns alle wohltuend, wenn wir mal mit dem Lauf des Lebens hadern:
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Man sieht, ich arbeite ...
Ich schlafe wieder lang, schreibe ein wenig, suche mir ein paar Informationen zu Seattle, hol mir nochmals ein Frühstück von
Denny's - diesmal wieder meinen "Lumberjack Slam" und telefoniere dann mit Sylvia, um sicherzustellen, dass sie mich auch
abholt ;-)
Mit den Öffis geht's zum Radshop, im Bus fahr ich mangels Bargeld wieder schwarz. Im Shop ist mein Rad fast fertig, bei den
letzten Handgriffen helfe ich mit - vor allem beim Ausstopfen aller freien Räume in der Schachtel mit Kleidung, Schlafsack etc.
Das ermöglicht, alles leichter unterzubringen, als in den sperrigen Radtaschen und bietet außerdem noch zusätzlichen Schutz
für das Rad.
Man bestellt mir wieder ein Taxi, auf das ich nicht lange zu warten habe. Für 20 Dollar kommen mein Rad und ich zurück zum
Motel. Dort sichere ich mir den Flughafentransfer für morgen, 2 p.m. Dann zahle ich die letzte Rechnung vom Kindig und
entspanne mal. Es tut gut, dass wieder was erledigt ist.
Beschäftigungsprogramm ist heute "The Museum of flight". Dabei handelt es sich um ein riesiges Gelände, etwas vergleichbares
habe ich noch nicht gesehen und ich bin fast überfordert durch die Fülle und kann es weiterempfehlen. Dabei ist mehr Zeit
durchaus sinnvoll.
Es beginnt mit einer Ausstellung zum "Space Shuttle", ich sehe eine sowjetische Sojus-Kapsel und im Freigelände sind
Militär- und Passagierflugzeuge der jüngeren Vergangenheit ausgestellt, darunter auch die "Concorde" und die "Air Force One".
Einige Objekte kann man auch von innen anschauen.
Natürlich fehlt es nicht an Fluggeräten aus dem 1. und 2. Weltkrieg, nicht nur aus den USA, sondern auch aus Europa und
Japan, begleitet von einer historischen Auseinandersetzung mit diesen Kriegen und auch mit dem Vietnam-Krieg - durchaus kritisch,
wenn auch aus anderer Sicht als in einem europäischen Museum. Ich glaube, einiges dazugelernt zu haben.
Schließlich ist noch eine Ausstellung über das Apollo-Programm der NASA zu sehen, das ist faszinierend für mich, da ich das als
Bub im Fernsehen verfolgt habe. Es geht vorbei an ein paar sehr historischen Modellen und schließlich durch eine erste
Werkstätte von William Boeing.
Insgesamt lohnt sich der Besuch für Buben meines Alters ;-)
Vor dem Abendessen im üblichen Bistro checke ich noch online für den morgigen bzw. übermorgigen Flug ein.
Ich fürchte mich schon jetzt vor dem Jet-lag in den nächsten Tagen. 9 Stunden sind viel.
Heute mache ich Frühstück im Zimmer: Ich muss ja zumindest teilweise die "Loafs and Cookies" vertilgen, die ich mir in den
letzten Tagen als Seelentrost zugelegt habe. Kaffee gibt's vom Haus. Daneben höre ich in den Gedanken ans "Aufhören, wenn es
an der Zeit ist" die "Forrest Gump Suite". Ich habe ja unsere gesamte Mediathek am Handy.
Heute gibt es kein Sightseeing mehr, obwohl der Flug erst um 17:35 startet, das wäre mir zu viel Stress. Ich vertreibe mir die
Zeit, indem ich alle Tätigkeiten ein wenig zelebriere: Dehnen, Duschen, Schreiben und Einpacken der wenigen Dinge, die noch nicht
im Fahrradkarton sind.
Nach dem Auschecken aus dem Motel versichere ich mich noch einmal, dass das mit dem Flughafentransfer klappt und suche mir
ein gemütliches Lokal. Der sehr verständnisvolle Kellner dort akzeptiert, dass ich hier zunächst einfach nur herumhängen,
Kaffee trinken und schreiben will, um auf meinen Flug zu warten. Ich bestelle mir aber dann doch noch einen leichten Salat
als Lunch - bei der heute bevorstehenden Leistung sollte ich nicht mehr zu mir nehmen. Hilft auch beim Flugzeugstart ;-).
Der Transfer funktioniert, der Rest ist wieder das übliche: Rad einchecken, abgeben beim oversize-luggage, security und
dann warten ... und diese Seite hochladen.
Ich freue mich riesig auf die Menschen daheim, die ich liebe.
Und zum Abschluss der "Gedanke des Tages":
Vor ein paar Tagen habe ich ja meine Meinung über die Menschen geäußert, die dauernd ihre Potenz beweisen müssen. Wie zur
Bestätigung lese ich jetzt in den Nachrichten, dass Elon Musk, nachdem er schon Putin zum Zweikampf aufgefordert hat, nun
mit Zuckerberg kämpfen möchte. Der hat angeblich die Herausforderung angenommen. Es passt in mein Bild rund um die von mir
immer als "asoziale Medien" bezeichneten "social media" und um die Führerfiguren in der Politik!
Na dann, trotzdem guten Morgen, und nehmen wir die Herausforderungen an, die uns die Welt stellt - es ist die einzige Welt,
die wir haben!
Der gestrige Start in Seattle war um 17:35, ich bin in die Nacht hineingeflogen, aber Richtung Osten, daher eigentlich
schon in den nächsten Tag. Daheim war es zu der Zeit nämlich schon 02:35 Uhr. Der Flug hat fast 10 Stunden gedauert, ich habe
kaum geschlafen und jetzt um 14:00 Uhr sitz ich am Flughafen in Frankfurt bei einem Kaffee und warte auf meinen Anschlussflug
nach Wien. Irgendwie fühlt sich das immer wieder eigenartig an mit der Zeitdifferenz. Mein Abfluggate ändert sich laufend,
für das Rad muss ich für die Strecke Frankfurt-Wien noch zahlen, nach meinen Erkundigungen direkt am Gate. Dort versichert
man mir aber, dass nichts offen ist. Auch gut. Ich habe lange Zeit, da ist auch noch ein kleines Bier drin und ich kann
noch ein wenig resümieren:
Ich erinnere mich nochmals an den Moment, in dem ich mich in der Nacht zur Umkehr entschlossen habe. Es war der Moment, in
dem ich auf den "Senden"-Button für das email ans Reisebüro geklickt habe. Es war einer der grauslichsten Momente, an die
ich mich erinnere, da waren keine "Schmetterlinge im Bauch", sondern Ungetüme.
Verunsicherung, das Gefühl der Verletzlichkeit und Ungeschütztheit haben mich überwältigt, ich hatte einfach Angst vor dem
Weiterfahren. Vielleicht ist auch die Motivation für Zeit für mich alleine nicht mehr so groß, seit ich dem Berufsalltag
entfliehen konnte. Vielleicht habe ich mich auch nicht an meine eigenen Erfolgsrezepte gehalten. Und der Jetlag war auch noch
groß.
Gleichzeitig war es ein befreiender Moment, ein zufrieden machender; zufrieden mit dem, was ich habe und daraus machen kann.
Trotz allem (oder auch deswegen) hat sich mein Horizont erweitert, und sei es nur durch die Organisation der Rückreise, durch
das dauernde Orientieren an den unbekannten Flughäfen oder auch nur durch den Blick aus dem Fenster des Flugzeug, und schließlich
durch die Tage, die ich mit der Besichtigung von Seattle verbracht habe.
Und ein bisserl kann ich mir jetzt vorstellen, wie sich ein Skifahrer fühlt, der als Favorit zur Olympiade fährt und dann
beim dritten Tor mangels mentaler Stärke einfädelt ;-) .
Mein Handy stelle ich schon in Frankfurt auf unsere Zeit ein und ich aktiviere wieder die gewohnte SIM-Karte. Die von den
USA hebe ich noch auf, man weiß ja nie ...
Die Landung in Wien erfolgt fast pünktlich, auf mein Rad muss ich nicht warten, und Sylvia holt mich ab. Ich freue mich
riesig darüber, dass sich auch ein Teil meiner Familie die Zeit genommen hat, ein kleines Empfangskommitee zu bilden.
Ich verabschiede mich damit von den Leserinnen und Lesern meines Tagebuchs und wünsche euch allen viel Erfolg bei eurem Tun -
und bearbeitbare und lehrreiche Niederlagen, die halt auch zum Leben gehören.
... eigentlich wollte ich ja nur rechtzeitig daheim sein ... ;-)